Denkanstoß zur Sozialen Marktwirtschaft

Timo Moll und Tim-Dustin Frey

Ein Kommentar von Timo Moll:

"Die neuesten Äußerungen von Juso-Chef Kevin Kühnert zu möglichen Enteignungen und Kollektivierungen sind derzeit in aller Munde. Dabei reichen die Reaktionen von extremer Kritik, auch aus der eigenen Partei, bis hin zu großer Begeisterung.

 

Wie sich an den teilweise hoch emotionalen Reaktionen ablesen lässt, hat er etwas getan, was ansonsten offensichtlich zu selten geschieht und einen politischen Nerv trifft: Er hat sich Gedanken darüber gemacht, wie eine postkapitalistische und möglicherweise bessere Gesellschaft aussehen könnte und dies öffentlich geäußert. Die Gewinne, die Konzerne machen, sollten auch jenen zugutekommen, die sie täglich erarbeiten. Und nicht mehr lediglich den Anteilseignern und Erben. Annehmbarer Wohnraum soll allen Menschen zu erschwinglichen Preisen zur Verfügung stehen. Die sich darin zeigende Sozialpflichtigkeit des Eigentums ist ein erzsozialdemokratischer Grundansatz und auch seit jeher im Grundgesetz verankert: der Gebrauch des Eigentums darf dem Gemeinwohl nicht zuwiderlaufen bzw. soll ihm zugutekommen. Dies entspricht im Kern ebenso der katholischen Soziallehre und Tradition. Auch dort stehen die Interessen der vielen über jenen der Elite bzw. Wenigen.

 

Der vordringliche Wert seiner Äußerungen besteht darin, alltägliche Gegebenheiten angesprochen zu haben, die heute für jeden erkennbar und auch für jeden spürbar sind. Unabhängig von der sozialen Schicht. Unerschwingliche Mietpreise in Großstädten, aber teilweise auch bereits in ländlichen Regionen. Eine immer weiter auseinander gehende Schere in sozialer Hinsicht mit all ihren negativen Folgen, unter anderem aufgrund nicht entsprechend steigender Löhne und Gehälter. Es sind damit grundsätzliche Probleme sozialer Gerechtigkeit, die er anspricht. Probleme, die sich immer bemerkbarer und elementarer auf unsere Gesellschaft auswirken werden. Und deren Lösungen die Zukunft unseres Landes bestimmen werden. Herausfordernde Probleme. Probleme, die dringend heute und nicht erst morgen angegangen werden müssen.

 

Ob man dabei seinen angedachten Lösungen und Ansichten folgt, ist durchaus streitbar und diskutabel. Die in unserem Land, als auch in ganz Europa, als gesellschaftliche Errungenschaft und vorherrschendes Wirtschaftssystem gelebte Soziale Marktwirtschaft kann verschiedenen Ausprägungen und Schwerpunktsetzungen unterliegen. Schon nach dem Wortlaut kann hier der Schwerpunkt mehr auf die sozialen Gesichtspunkte im Interesse Aller oder aber der marktwirtschaftlichen Orientierung gesetzt werden. Oder auf einen vermittelnden Ausgleich beider Aspekte als anzustrebende Zielsetzung und optimaler Zustand. Ihre konkrete Ausrichtung muss stets einer ständigen Betrachtung und politischen Diskussion folgen. Dabei liegt eine tragbare und erfolgreiche Wirtschaft mit gerechten Einkommen, von denen jeder arbeitende Mensch gut leben kann, sowie ein sozialadäquater Ausgleich innerhalb der Gesellschaft im Fokus. Es ist jedoch ebenso schwer von der Hand zu weisen, dass ein rein und absolut auf Markt und Gewinn geeichtes Wirtschaftssystem nachhaltig Schäden hinterlässt – durch Bankenkrisen und anhaltenden Klimawandel, auf den Wohnungsmärkten sowie in gesellschaftlicher Hinsicht. Dies haben die letzten Jahre und deren Ereignisse sowie Entwicklungen nachdrücklich unter Beweis gestellt. Hier muss der Hauptschwerpunkt sozialdemokratischer Politik liegen: Die Herstellung sozialer Gerechtigkeit und akzeptabler Lebensumstände für alle Menschen in einem funktionierenden und nachhaltigen Wirtschaftssystem unter Beachtung klimabezogener Herausforderungen.

 

Es ist das Anrecht der Jugend, und auch deren natürliche Pflicht, Sachverhalte und Beobachtungen, die sonst möglicherweise aus den verschiedensten Gründen gemieden würden, deutlich und möglicherweise auch unbequem anzusprechen. Dieses Anrecht hat Kevin Kühnert wahrgenommen. Seine Anregungen sind es zumindest wert, sie nicht lediglich und zu schnell als Hirngespinste abzutun, sondern sie zu beachten und offen und ehrlich über sie zu diskutieren. Darin liegt eine Chance für die Zukunft unserer Gesellschaft und die nachfolgende Generationen."